Frank Rothe

No More Angels

NO MORE ANGELS

Das erste, was auffällt an Los Angeles, ist seine Schäbigkeit: Die winzigen, windschiefen Häuser sehen aus wie Datschen, die Farbe der Reklametafeln ist verblichen, Stromkabel hängen wie Urwaldlianen über den Dächern, auf den Straßen zeichnen Risse Muster in den Asphalt. Die Schlaglöcher auf dem Wilshire Boulevard sind so tief, dass man bei der Fahrt ständig Angst vor einem Achsenbruch hat. Es wirkt, als treibe das große, lange angekündigte Erdbeben seit Jahren sein Spiel mit der Stadt und sende mit kleinen Stößen Botschaften, die Furchen in Häusern und Straßen hinterlassen. Der brüchige Untergrund ist ein Sinnbild für die momentane Stimmung in dieser Stadt, in diesem Land. Los Angeles ist ein Ort, von dem jeder eine Vorstellung hat, und immer ist es eine angenehme. Wir haben L.A. in Hunderten Filmen gesehen. Surfer, Skater, Schauspieler – wir glauben die kalifornische Lebenskultur gut zu kennen.

Unser Bild von L.A. ist von Hollywood geprägt: Sonne, Stars, Schönheit. Die westliche Welt hat L.A. als Ziel ihrer Sehnsüchte auserwählt. Die Stadt der Hoffnung, die Ruhm und Unsterblichkeit verleihen kann. Vielleicht ist es die amerikanischste aller Städte, weil hier der Amerikanische Traum am intensivsten erstrebt wird. Und jeder hat das Gefühl, er kann mitreden, wenn es um L.A. geht, auch wenn er nie dort gewesen ist. Los Angeles ist die bekannte Unbekannte. Auch ich habe diese Vorstellungen von Luxus und Glamour verinnerlicht und bin mit meinem Mann und meiner Tochter gekommen, um sieben Monate in L.A., in den USA, zu leben, zu schreiben, zu arbeiten.

Unser Viertel Silver Lake ist eine Mischung aus den Berliner Bezirken Prenzlauer Berg und Kreuzberg, aus Alternativem und schon Etabliertem. In jedem Häuschen sitzt einer, der ein Drehbuch schreibt oder es noch vorhat. Hier sehe ich auch das erste Mal die Armee der homeless, der Obdachlosen, die Herren der Straßen von L.A. Fortwährend in Bewegung, schieben sie ihre Einkaufswagen die Hügel hinauf und hinunter. Sie hoffen, dass wir den Eingang zur Garage offen lassen, damit sie unsere Mülltonnen nach Brauchbarem durchforsten können. Ich erinnere mich an die Begeisterung bei meinen ersten USA-Reisen, damals erschienen mir die Vereinigten Staaten als wohlhabend und fortschrittlich, uns Europäern in fast allen Bereichen voraus. Nun erlebe ich ein Bankensystem, das auf umständlichem Zahlungsverkehr durch Schecks aufgebaut ist. Auf denen ich, wenn ich sie einlösen will, meine Fingerabdrücke hinterlassen muss, nachdem ich schon zwei verschiedene Identitätsnachweise vorgezeigt habe. Ich sehe ein System, das einen dazu zwingt, Schulden zu machen, um als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft behandelt zu werden. Ich sehe im Haus gegenüber unserer Wohnung Mexikaner von morgens um sieben bis abends um zehn bügeln und nähen. Ich sehe viele Läden mit Schildern im Fenster, auf denen steht: »Wir akzeptieren auch Lebensmittelmarken.« Und bei stärkerem Regen fällt der Strom aus. Vieles erinnert eher an ein Dritte-Welt-Land als an den mächtigsten Staat der Erde.

Je länger ich in den Vereinigten Staaten, in Los Angeles, bin, desto mehr bekomme ich das Gefühl, dass eine Gemeinschaft, wie ich sie kenne, hier nicht mehr existiert. Die amerikanische Idee basierte immer auf der Freiheit des Einzelnen, nicht auf Gleichheit, nicht auf Solidarität. Das funktioniert, solange es dem Land gut geht. Wenn es in eine Krise gerät, wie jetzt, pervertiert dieses Freiheitsprinzip. Das soziale Gewissen wird ausgelagert, privaten Stiftungen und Wohltätigkeitsvereinen überlassen.

Los Angeles ist eine Stadt der Zugezogenen. Jeder ist irgendwann einmal von irgendwo hierher gekommen, meist auf der Flucht vor irgendetwas: der Familie, der Geliebten, dem Gesetz, der Hoffnungslosigkeit. Das gilt für ganz Amerika, aber L.A. ist die Hauptstadt der Wurzellosen. Wer es nicht schafft, zieht weiter. L.A. ist die Stadt im Transit. Nichts ist für die Ewigkeit geplant: keines der hölzernen Häuschen, kein Job, keine Beziehung. Mein einstiges Traumland wirkt nicht mehr modern, uns nicht mehr voraus. Es macht den Eindruck, als befinde es sich nicht im Aufbruch, sondern am Rand des Abgrunds. Eine Gemeinschaft in Auflösung.

Ein paar Wochen später beginnen in New York die Anti-Wall-Street-Demonstrationen. Im Fernsehen sehe ich nun Amerikaner, die in Schlafsäcken im Zuccotti-Park mitten im Börsenviertel kampieren und gegen die soziale Ungerechtigkeit protestieren. Ein Bild prägt sich mir besonders ein: An einem Zaun hängt ein Plakat, es ist ein wenig zerfleddert und vom Regen durchweicht, »Kapitalismus funktioniert nicht« steht darauf. Die Ratlosigkeit ist niederschmetternd.

 

Auszug aus dem Text von Jana Simon erschienen in Zeit Magazin Nr. 44 27.10.2011

 

  

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